Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 15 – Prävention in Schleswig-Holstein
Dazu sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jasper Balke:
Sehr geehrte Präsidentin,
sehr geehrte Kolleg*innen,
eine der größten Ungerechtigkeiten in Deutschland ist der eindeutige Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Hintergrund sowie dem Bildungsstatus eines Menschen auf der einen und dem individuellen Gesundheitszustand und der Lebenserwartung auf der anderen Seite. Wenn wir von über 20 Prozent in Armut aufwachsenden Kindern sprechen, dann sind das genau die Menschen, die durch Mangelernährung und einen generell ungesünderen Lebensstil im Laufe ihres Lebens mit viel höherer Wahrscheinlichkeit und viel früher als andere erkranken. In Deutschland leben Menschen mit niedrigerem Bildungsstand durchschnittlich bis zu zehn Jahre kürzer als Menschen aus besser gebildeten Umfeldern.
Eines der zentralen Probleme dabei ist die sogenannte Ernährungsarmut. Während wir glücklicherweise den Zustand haben, dass die meisten Menschen genug Makronährstoffe, Fette, Proteine und Kohlenhydrate, also Kalorien, zum Überleben zu sich nehmen, so führt deren finanzielle Armut allerdings sehr häufig dazu, dass sie einen Mangel an den sogenannten Mikronährstoffen, also beispielsweise Eisen, Zink, Vitaminen und anderen Mineralstoffen aufbauen. Diese sind aber besonders in jungen Jahren, in der Entwicklung des menschlichen Körpers aber insbesondere des Gehirns, ganz besonders wichtig. Je früher im Leben ein solcher Mangel auftritt und bei manchen Kindern ist das leider schon pränatal der Fall, weil nämlich schon die Mutter selbst nicht ausreichend Nährstoffe zu sich nimmt, desto verheerender und irreversibler sind die Folgen.
Eine ausgewogene Ernährung ist entscheidend für die gesunde Entwicklung von Kindern. Leider haben viele Kinder aus benachteiligten Familien jedoch keinen regelmäßigen Zugang zu gesunden Lebensmitteln, entweder weil die Eltern es nicht besser wissen oder weil sie eben nicht ausreichend finanzielle Mittel dafür zur Verfügung haben.
Die konsequente Bekämpfung von Kinderarmut ist deshalb eine der wichtigsten Maßnahmen für mehr Gesundheitsförderung, es geht dabei um nichts anderes als gesundheitliche Chancengerechtigkeit und das Recht auf gleichwertige Lebensverhältnisse.
Liebe Kolleg*innen, mir war es wichtig, in das Thema Prävention und Gesundheitsförderung etwas allgemeiner einzusteigen, um die Dimension der Herausforderung, vor der wir in Deutschland stehen, einmal klarzumachen. Dabei, und das haben wir hier schon einige Male diskutiert, leben wir in einem der teuersten Gesundheitssysteme der ganzen Welt. Dass wir im Ländervergleich aber trotzdem keine spürbar steigende Lebenserwartung und Krankheitszahlen haben, liegt auch daran, dass Deutschland prozentual, gemessen an den Gesamtausgaben im Gesundheitswesen deutlich weniger Geld für Prävention und Gesundheitsförderung ausgibt als andere Länder. Das ist deshalb so fatal, weil der Euro, den ich in ganz frühen Jahren eines Menschenlebens in gesundheitsfördernde Maßnahmen investiere, sich hinterher volkswirtschaftlich um den Faktor 100 rechnet, hierzu gibt es sehr gut gemachte Studien aus den USA.
Keine Frage, wir haben in Deutschland ein Top-Gesundheitssystem und sind sehr gut darin, Krankheiten mit sehr hoher Expertise und vielen Ressourcen zu therapieren, doch wir sind nicht gut darin, den Namen „Gesund“heitssystem eigentlich ernst zu nehmen. Denn die Salutogenese, also das gesund halten der Bevölkerung, das ist deshalb teilweise gar nicht mehr möglich, weil so viele Ressourcen dorthin fließen, wo Erkrankungen schon längst entstanden sind.
Studien der WHO gehen davon aus, und das ist natürlich nie ganz leicht zu beziffern, dass ca. 50 bis 60 Prozent der sogenannten Volkserkrankungen (Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die sie bedingenden Erkrankungen wie Adipositas oder Diabetes) in Deutschland und der EU durch einen gesünderen Lebensstil hätten verhindert werden können.
Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Jeder Mensch hat selbstverständlich das Recht, so gesund oder eben auch ungesund zu leben, wie er oder sie es eben möchte. Das ist auch gut so und ein Leben, dass allein auf maximale Gesundheit und Verlängerung der Lebensspanne ausgerichtet ist, das stelle ich mir wenig lebenswert vor.
Der Kernpunkt ist aber der, dass es einfach so viele Menschen gibt, die gar nicht das Privileg haben selbst zu entscheiden, ob sie denn gesund oder ungesund leben wollen und genau das ist das große Problem, liebe Kolleg*innen.
Und deshalb stört es mich auch so, dass bei neuen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zum Fleischkonsum oder anderem direkt wieder kulturkämpferische identitätspolitisch motivierte Verbotsdebatten geführt werden, denn das trägt rein gar nichts zu mehr gesundheitlicher Chancengerechtigkeit bei.
Liebe Kolleg*innen, ich möchte mich ganz herzlich bei der Ministerin und den Mitarbeitenden aus dem Ministerium für die Beantwortung der Großen Anfrage bedanken. Ich fand diese sehr aufschlussreich und möchte den Ausschussberatungen nicht zu viel vorwegnehmen und sage deshalb nur so viel: Projektitis und vereinzelte gute Ideen, die nur lokal wirken und nach drei Jahren trotz guter Evaluationsergebnisse wieder in die Schublade gepackt werden, das wird das Grundproblem nicht lösen, da müssen wir in Schleswig-Holstein einen grundsätzlicheren Ansatz mit den verantwortlichen Krankenkassen und Kommunen hinbekommen.
Ich freue mich auf die Beratungen und danke für die Aufmerksamkeit.