Long-Covid muss ernst genommen werden

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 38 – Bericht zur Situation von Post-Covid und ME/CFS Erkrankten in Schleswig-Holstein

Dazu sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen,

Jasper Balke:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleg*innen,

wenn wir über die Betroffenen von Post-Covid, ME/CFS und auch PostVac sprechen, dann ist vielen gar nicht bewusst, über was für eine große Gruppe an Menschen gesprochen wird. Wir reden allein in Deutschland von mehreren Millionen Betroffenen, circa zehn Prozent – bei den neusten Varianten zum Glück weniger – aller Covid19-Erkrankungen chronifizieren und führen zu Long- oder Post-Covid-Syndromen.

Das ist eine riesen große Menge an Menschen und wenn man dann noch bedenkt, dass dahinter nicht nur Millionen von individuellen Schicksalen, sondern auch die ihrer Angehörigen und vieler Menschen mehr stecken, dann muss man sich schon auch ein bisschen wundern, warum darüber nicht viel mehr auch in der breiten Öffentlichkeit gesprochen wird. Neben der aus meiner Sicht viel zu geringen gesellschaftlichen Sensibilisierung kommt leider noch hinzu, dass die Betroffenen noch zu häufig Stigmatisierung ausgesetzt sind. Sie werden mit ihren Anliegen nicht ernst genommen, manchmal wird sogar die Existenz der Erkrankungen per se abgestritten und immer wieder kommt die Psychosomatik in der Debatte auf. Diese Komponente spielt zwar zweifellos wie bei allen anderen Erkrankungen auch eine wichtige Rolle, sie aber als einzige Ursache für den individuellen Zustand der Betroffenen zu benennen, das entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Denn es liegen bereits zahlreiche diagnostische Verfahren über Blutparameter, Entzündungsmarker, Veränderungen an Nerven und Gefäßen und viele weitere vor, an denen man die Erkrankungen klar festmachen kann. Auch gibt es mittlerweile gut gemachte Studien, die die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Symptomen und Krankheitsbildern verdeutlichen. Circa 30-50 Prozent aller Post-Covid Betroffenen, die länger als sechs Monate erkrankt sind, haben ME/CFS – das Chronische Fatigue Syndrom, eine Erkrankung, die es schon seit ganz vielen Jahren gibt und erst über die Post-Covid Symptomatik mit Covid19 in Verbindung gebracht wurde. Deshalb gibt es zur Versorgung und Behandlung von ME/CFS schon seit vielen Jahren Therapieoptionen und mit dem Charité Fatigue Zentrum eine institutionalisierte Einrichtung zur Hilfestellung der Patientinnen und Patienten.

Noch mehr Post Covid Betroffene leiden jedoch unter der sogenannten Post-exertionellen Malaise – dem PEM-Syndrom, also einer Symptomverschlechterung durch schon sehr geringe körperliche und geistige Anstrengung. Gerade letzteres führt in den meisten Fällen zu einer sehr starken Einschränkung der Lebensqualität, weil schon einfache Alltagshandlungen zu erheblichen Verschlechterungen des Gesundheitsstatus führen und somit unmöglich werden. Auch ist es das PEM-Syndrom, dass die im Gesundheitswesen altbewährten Reha-Maßnahmen für den Großteil der Post Covid Betroffenen eigentlich ausschließt. Denn diese funktionieren immer über Aktivierung von Muskeln oder Geist und es ist ja eben genau das, das den Betroffenen eben nicht hilft und das erschwert die Therapie natürlich enorm.

Es braucht deshalb vom gesamten Gesundheitssystem eine große Kraftanstrengung – denn die kann man im wahrsten Sinne des Wortes nicht länger von den Betroffenen selbst erwarten. Es fordert mir deshalb den aller größten Respekt ab, dass die Patienten- und Angehörigeninitiative NichtGenesen in ganz Deutschland und Schleswig-Holstein trotz der Widrigkeiten und Ungewissheiten allen Betroffenen ein Gesicht gibt und mit ihrer Arbeit einen unschätzbar wertvollen Beitrag leistet, für den man sich eigentlich gar nicht genug bedanken kann.

Doch es ist natürlich auch an Politik und Gesellschaft, ihren Beitrag zu leisten. Es stimmt, dass der Bundestag weit über 200 Millionen Euro an Forschungsmitteln und auch wir hier in Schleswig-Holstein unseren Beitrag zur Erforschung der Ursachen und Therapiemöglichkeiten freigemacht haben. Und ja, es ist auch richtig, dass wir nicht alle evidenzbasierten Praktiken überspringen und natürlich keinen Forschungserfolg als Politik bestellen können, auch, wenn ich mir letzteres manchmal wünschen würde. Aber es wäre eben genauso falsch zu sagen, dass bei solch neuartigen Erkrankungen – die ja teilweise auch gar nicht neu sind – man eben abwarten müsse und nichts unternehmen könne. Mitnichten.

Deshalb muss es auch unsere Aufgabe sein, unser Gesundheitssystem so zu wappnen, das medizinische Personal so zu schulen, dass die Betroffenen nicht länger schulterzuckend von der einen Warteliste zur anderen wandern müssen, nur um schließlich ganz weggeschickt zu werden. Wir müssen einen Weg finden, wie wir bestehende Therapiemöglichkeiten schneller als sonst an die Patienten bringen können und vor allem auch schnell die Refinanzierung über die Krankenkassen zu erreichen, denn momentan zahlen viele die für sie passende Therapie noch aus eigener Tasche.

Dies passt aber überhaupt nicht in unser Solidarsystem und deshalb möchte ich abschließend sagen: Es braucht noch mehr Kooperation, mehr Aufklärung und vor allem mehr gesellschaftliche Sensibilisierung und deshalb rate ich allen – auch den Nicht-Betroffenen, denn leider kann es ja wirklich jeden treffen – ich rate allen sich einmal mit dem Thema auseinander zu setzen, den Bericht der Landesregierung zu lesen und sich bei Betroffeneninitiativen wie NichtGenesen zu informieren, um die vielen Schicksale nicht noch unsichtbarer zu machen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit!