Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 9 – Die Situation von Endometriose-Betroffenen verbessern
Dazu sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jasper Balke:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!
„Wenn man immer wieder äußert, dass man starke Schmerzen hat, diese aber abgetan werden, verliert man die Kraft. Man denkt irgendwann – ok, vielleicht übertreibe ich, vielleicht bin ich einfach besonders schmerzempfindlich – irgendwann gibt man einfach auf.“
Diese Worte stammen von Saskia, einer Frau aus Deutschland, die das erste Mal mit 12 Jahren ihre Periode bekommt. Schon damals leidet sie heftig an Unterleibsschmerzen, fehlt oft in der Schule. Immer wieder werden diese Schmerzen kleingeredet. Sie hört irgendwann auf, sich medizinisch beraten zu lassen, weil sie die Hoffnung verliert. Nur durch Zufall wird sie auf die Erkrankung Endometriose hingewiesen und erhält nach einer Bauchspiegelung endlich die Diagnose – 16 Jahre nach ihrer ersten schmerzhaften Periode.
Saskia steht zwar für einen ganz realen Fall, dabei aber auch sinnbildlich für knapp 190 Millionen Menschen, die laut Schätzung der WHO auf der Welt an Endometriose leiden. In Deutschland sind es mehr als 2 Millionen Betroffene, schätzungsweise 40.000 kommen jedes Jahr hinzu. Dies macht die Endometriose zwar zu einer der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen, dennoch können mehrere Jahre bis zur Diagnose vergehen. Dabei handelt es sich nämlich um eine hoch komplexe Erkrankung, mit sehr breitgefächerten, leidvollen und schmerzhaften, teilweise chronischen Begleiterscheinungen: Anhaltende Bauchschmerzen unabhängig von der Regelblutung, starke Rückenschmerzen und Ausstrahlen in die Beine, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Blut im Urin und/oder Darm, auffallende Müdigkeit und Erschöpfung, Übelkeit und Erbrechen, Komplikationen bis hin zum Kollabieren und zur Unfruchtbarkeit und und und.
Dies zeigt deutlich, dass es sich um eine wirklich schwere, ernstzunehmende Erkrankung handelt, die für viele Betroffene lebenseinschränkende Folgen haben kann. Es lässt aber auch erahnen, wie schwierig die Differentialdiagnostik, also die Unterscheidung bzw. Abgrenzung von anderen möglichen Erkrankungen sein kann. Viele Betroffene gehen deshalb zuerst in die Orthopädie oder Gastroenterologie, eben weil die Schmerzen und Symptome nicht immer klar gynäkologisch zugeordnet werden. Und selbst wenn sie dann in der Gynäkologie ankommen, fehlt oft auch einfach die Zeit für eine lange Schmerzanamnese. Auch die gesellschaftliche Bagatellisierung und Stigmatisierung, wie dass Menstruationsschmerzen, egal wie stark, eben ganz normal seien, tragen leider bisher dazu bei, dass die Hürde zur korrekten medizinischen Versorgung sehr hoch ist.
Fragen zu Ursachen, der Abgrenzung zu Unterformen oder ähnlichen Erkrankungen wie der Adenomyose, zu einfacheren Diagnose- oder Therapieverfahren oder gar zur Prävention und endgültigen Behandlung der Endometriose sind noch in weiten Teilen ungeklärt. Dies liegt auch daran, dass die Erkrankung Endometriose in den letzten Jahrzehnten unterschätzt wurde. Lediglich eine halbe Millionen Euro sind in den letzten 20 Jahren in Deutschland in die Forschung zu Endometriose geflossen. Es ist deshalb absolut angebracht, dass der Bund über den Haushaltsausschuss nun nachgeschärft hat und 5 Millionen Euro für die Endometriose-Forschung bereitstellt.
Daran wollen wir jetzt anknüpfen. Wir setzen auf Aufklärung der allgemeinen Bevölkerung und Schulung des medizinischen Fachpersonals, auf bessere Informationen z.B. über bereits bestehende Angebote wie dem Endometriosezentrum am UKSH, wollen Forschung in Schleswig-Holstein vorantreiben und das alles mit dem klaren Ziel, dass Geschichten wie die von Saskia und anderen endlich der Vergangenheit angehören. Dabei müssen wir das Rad gar nicht neu erfinden, denn neben Australien hat sich im letzten Jahr auch Frankreich auf den Weg gemacht und eine eigene nationale Endometriose-Strategie erarbeitet. Bei der Ankündigung der Strategie wies der französische Präsident Emmanuel Macron darüber hinaus auf einen wichtigen Umstand hin. Er sagte nämlich, ich zitiere: „Endometriose ist nicht nur ein Problem für die betroffenen Frauen, sondern für die gesamte Gesellschaft!“ Und ich finde, er hat damit absolut recht.
Ich finde, wir müssen begreifen, dass gruppenspezifische Erkrankungen eben nicht nur diejenigen angehen dürfen, die unmittelbar davon betroffen sind, sondern, dass sie uns als gesamte Gesellschaft, uns alle miteinander angehen. Endometriose als gynäkologische Erkrankung ist dabei ein Paradebeispiel dafür, dass Frauengesundheit, gender- und geschlechtsspezifische Medizin innerhalb der gesundheitlichen Versorgung und Forschung immer noch nicht ausreichend anerkannt oder gleichberechtigt ist. Es wird mittlerweile vieles getan aber wir haben noch viel vor, um die Versäumnisse aus zu vielen Jahren einseitiger, auf den männlichen Körper fokussierter Forschung und die daraus resultierenden Nachteile in Arzneimittelwirksamkeit und Versorgungslage anderer Geschlechter aufzuholen.
Eine nationale Strategie, eine Aufklärungs- und Informationskampagne zu Endometriose setzt daher wichtige und richtige Zeichen und leistet ihren Beitrag zu mehr Gleichberechtigung und einer besseren Gesundheitsversorgung allgemein.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.