Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 52 – Bericht zu Suiziden und zur Suizidprävention in Schleswig-Holstein
Dazu sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jasper Balke:
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleg*innen,
es gibt Themen, über die es wirklich schwer ist, zu sprechen. Die eine besondere Aufmerksamkeit und Sensibilität erfordern. Doch nur weil es manchmal schwer ist, darf daraus nicht resultieren, dass gar nicht darüber gesprochen wird. Denn das macht die betroffenen Menschen nur unsichtbar und ihre Lebensrealitäten damit weniger präsent. Deshalb ist es gut und richtig, dass wir heute hier auf Antrag des SSW einen wirklich sehr umfangreichen Bericht der Landesregierung diskutieren, der eigentlich gar nicht prominenter hätte platziert werden können.
Suizid und Suizidalität kommen auch bei uns in Schleswig-Holstein, genauso wie in fast allen Gesellschaften auf der Welt vor. Zwar ist die Zahl der Suizidversuche seit 2011 um 42 Prozent gesunken, jedoch bleibt die Anzahl an vollendeten Suiziden bei uns in Schleswig-Holstein bei etwas über 400 Fällen pro Jahr konstant.
Insbesondere die Altersgruppe von 50-59-jährigen ist am stärksten von Suiziden betroffen, insgesamt ist die Suizidanzahl bei älteren Menschen wesentlich höher als bei jungen Menschen. Auffällig ist hierbei, dass über alle Altersstufen hinweg die Anzahl der vollendeten Suizide zu 70 Prozent von Männern, der Suizidversuche hingegen häufiger von Frauen durchgeführt werden. Diese gruppenbezogenen Unterschiede sind wichtig, denn sie sind Merkmale, auf die gerade bei präventiven Angeboten reagiert werden muss.
Jedoch lassen sich auch klare Gemeinsamkeiten bei Suiziden und Suizidalität – über alle Gruppen hinweg – erkennen. Die sogenannte „große seelische innere Not“ auf die Suizidalität hinweist, resultiert immer noch am häufigsten aus einer psychischen Erkrankung – insbesondere der Major Depression, der schweren Depression, Dysthymie, der chronischen Depression, der generalisierten Angststörung, der Posttraumatischen Belastungsstörung, der Alkoholabhängigkeit aber auch einschneidende Lebensereignisse, Lebenskrisen oder körperliche Erkrankungen spielen eine Rolle. Als demographischer Indikator für diese Risikofaktoren ist insbesondere die Einsamkeit zu nennen – Menschen, die allein leben, geschieden sind und keine Kinder haben, haben ein erhöhtes Suizidalitätsrisiko.
Es ist deshalb eigentlich nur eindeutig, welches Signal von Hilfestrukturen, aber auch der Gesellschaft und der Politik klar ausgesendet werden muss, nämlich, dass in diesem Land niemand allein gelassen werden darf. Dass dies nicht immer richtig funktioniert, wird allerdings deutlich, wenn wir uns bspw. die Zahlen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zur Wartezeit auf einen Platz in der Psychotherapie ansehen.
Seit Jahren schon lassen wir zu, dass in manchen Fällen sechs Monate, also ein halbes Jahr oder sogar noch länger zwischen der Erstdiagnose und dem Beginn einer Psychotherapie vergehen – dies ist also schlicht genau das Gegenteil von dem so wichtigen Grundsatz „niemand wird allein gelassen“ und hier wird es wirklich Zeit, dass der gemeinsame Bundesausschuss nachbessert und die psychotherapeutische Versorgung endlich an den steigenden Bedarf angepasst wird.
Denn die Verschleppung eines solchen Problems führt in den meisten Fällen dazu, dass sich die psychische Situation weiter verschlechtert. Doch auch dann stehen die sozialpsychiatrischen Dienste, sowie Kriseninterventionsdienste zur Verfügung, die in akuten Situationen unterstützen können. Auch für die An- und Zugehörigen ist es entscheidend, hier adäquate Hilfe zu erhalten, denn auch sie dürfen in so schweren Situationen nicht allein gelassen werden.
Als spezifisches Angebot für Betroffene in suizidalen Lebenskrisen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich dem Verein „Lichtblick Flensburg e.V.“ danken, der mit seinem kostenfreien Angebot einen wirklich unschätzbar wertvollen Beitrag leistet und deshalb freue ich mich, dass sich dieses Angebot in diesem Jahr erweitern wird und es ist deshalb auch absolut richtig, dass dies im Haushaltsentwurf mit zusätzlichen Geldern unterstützt wird.
Doch, liebe Kolleg*innen, es muss mehr getan werden. Denn – unabhängig davon, wie hoch die Zahlen genau sind – wir müssen alle Maßnahmen nutzen, um Menschen zu unterstützen und Risikofaktoren abzubauen. Und das ist eine gesamtpolitische aber auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe. So braucht es mehr universelle Maßnahmen zur sozialen Sicherung, Aufklärung zu spezifischen Beratungshilfen und vor allem braucht es innerhalb der Gesellschaft eine höhere individuelle gesundheitliche Handlungskompetenz, um Warnsignale bei sich und anderen besser zu erkennen.
Es muss daher unser aller Aufgabe sein, Themen wie psychische Erkrankungen, den eigenen Gemütszustand, die eigenen Emotionen anzusprechen und mit anderen darüber zu sprechen, auch und gerade weil es eben nicht einfach ist, darüber zu sprechen.
Deshalb ist es meiner Meinung nach auch Aufgabe der Politik, Tabus und Stigmata pro aktiv abzubauen und neben dem Aufbau heterogener Hilfestrukturen für Betroffene, sowie An- und Zugehörige insbesondere dafür zu sorgen, dass Menschen mit ihren Lebensrealitäten gesehen und nicht allein gelassen werden – und über dieses und weitere Themen freue ich mich abschließend im Ausschuss zu beraten.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Mitarbeiter*innen des Ministeriums für den Bericht und bei Ihnen für die Aufmerksamkeit.