Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 36 – Arzneimittelversorgung sicherstellen –Apotheken stärken
Dazu sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jasper Balke:
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleg*innen,
die Apotheken und Arztpraxen sind das Rückgrat der Gesundheitsversorgung in unserem Land. Die Menschen in Schleswig-Holstein müssen sich auf diese Strukturen verlassen können, denn sonst entstehen durch zu späte oder gar nicht-Behandlungen schwerwiegendere Erkrankungen und Probleme, die im Endeffekt großes individuelles Leid und volkswirtschaftlichen Schaden bedeuten.
Doch diese Verlässlichkeit ist durch die Entwicklungen der letzten Jahre leider nicht mehr gänzlich gegeben. Ich habe es vorhin in meiner Rede bereits gesagt, dass das Fundament, der ambulante Bereich unseres Gesundheitssystems aktuell bröckelt. Wir sind uns einig darüber, dass das bislang viel zu starre Vergütungssystem unseres selbstverwalteten Gesundheitswesens und gerade in Bezug auf unsere Arzneimittelversorgung in Zeiten multipler Krisen mit steigenden Energiepreisen, geopolitischen Verwerfungen und der Inflation an seine Grenzen kommt.
Denn anders als in der freien Wirtschaft können Krankenhäuser, Praxen und eben auch die Apotheken ihre Mehrkosten nicht einfach auf die Bevölkerung umlegen oder ihr Angebot beliebig einstellen oder anpassen. Das soll sich ja im Grundsatz auch gar nicht ändern, es ist gut, dass in unserem Solidarsystem die Partner*innen der Selbstverwaltung gemeinsam entscheiden, doch wir müssen eben als Politik zunehmend Antworten auf die Schwächen des aktuellen Systems finden.
Und dazu gehört konsequenterweise eben auch, dass wir beispielsweise endlich zu einer angemessenen Anpassung und Dynamisierung des Packungshonorars kommen. Denn was ohne ein rechtzeitiges politisches Einschreiten geschieht, ist das, was wir aktuell bei uns im Land erleben, wo die Zahl der Apotheken mittlerweile auf unter 600 gesunken ist. Hinzu kommt auch noch der wirklich dramatische Umstand, dass mittlerweile die katastrophale Situation rund um Lieferengpässe bei Arzneimitteln ganz direkt bei den Bürger*innen spürbar ist.
Um die 500 Arzneimittel führt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte aktuell in seiner Lieferengpass-Datenbank auf, um die 300 sind nicht lieferbar. Und dabei sprechen wir gerade bei komplexeren Medikationsplänen von enorm schwierigen, individuellen Situationen. Wir sprechen von wichtigen Medikamenten zur Entspannung der Atemwege, von bestimmten Antibiotika, von Blutdrucksenkern und anderen speziellen Herzmedikamenten, von Antidepressiva. Nicht immer und in den seltensten Fällen schnell kann dann ein wirkstoffähnliches Präparat gefunden werden, manchmal gibt es einfach keines.
Seit letzter Woche kann ich diesbezüglich leider auch aus ganz persönlicher Erfahrung sprechen und deshalb versichern, dass diese Betroffenheit ein erhebliches Gefühl der Ohnmacht erzeugt. Wenn der Apotheker über das eine Medikament, dass nach teilweise monatelangem Ausprobieren und intensiven Gesprächen mit dem eigenen Arzt endlich eine lebenshelfende oder lebensnotwendige Erleichterung bringt, wenn der Apotheker dann an der Ausgabe sagt, „Entschuldigung, dieser Wirkstoff wird aktuell nicht mehr geliefert und ich kann Ihnen leider auch kein wirkstoffähnliches Medikament ausstellen, bitte beraten Sie sich mit Ihrem behandelnden Arzt“, dann fühlt sich das wirklich enorm schlecht an.
Und ganz abseits jetzt der individuellen Betroffenheiten muss man einfach betonen, dass dieser Umstand wirklich ein einziges Armutszeugnis für die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist. Aber man muss auch hier ehrlich sein. Denn dieser Umstand ist nichts anderes als hausgemacht. Seit bald über zwei Jahrzehnten schwächen wir systematisch und kalkuliert die Arzneimittelversorgung bei uns in Deutschland. Das hat viele Gründe, liegt aber nicht zuletzt auch an dem Willen, beziehungsweise der politischen Entscheidung, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen über Rabattverträge und Festbeträge, also durch Sparen im Arzneimittelbereich zu begrenzen.
Und ich finde, wir müssen ganz deutlich machen und uns eingestehen, dass die Sparpolitik der letzten Jahre bei Apotheken und der Arzneimittelversorgung, die uns letztendlich in die für viele Menschen nun so fatale Situation gebracht hat, dass diese Politik beendet werden muss.
Und hierbei gilt es auch sich einzugestehen, dass wir die wirklich dicken Bretter bohren müssen. Wir brauchen eine europäische Arzneimittelstrategie, die die Arzneimittelproduktion zurück nach Europa holt, um die im schlimmsten Fall wirklich tödliche Abhängigkeit von China oder Indien zu beenden. Die Bundesregierung geht mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz den richtigen Weg und natürlich müssen wir uns auch bei uns in Schleswig-Holstein Gedanken darum machen, welchen Teil wir dazu beitragen können und wie wir die Rahmenbedingungen bei uns im Land so attraktiv gestalten können, dass wir die Arzneimittelindustrie hier vor Ort stärken oder ausbauen. Ich finde, wir haben da bei uns wirklich großes Potential durch das Life Science Cluster mit Hamburg, der wirklich hervorragenden Ausbildung von jungem Fachpersonal zum Beispiel an der Universität zu Lübeck und vielem mehr.
Gegen die Ohnmacht im Hinblick auf fehlende Arzneimittel gilt es Lösungen zu finden und anspruchsvolle Wege auch ressortübergreifend zu gehen, aber eines ist klar: Dagegen weiterhin mit voller Entschlossenheit anzusparen, kann keine vielversprechende Lösung sein und ich denke auch, da sind wir uns einig.
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen im Ausschuss und danke für die Aufmerksamkeit!