Rede

Für eine langfristige und nachhaltige Ausfinanzierung unserer Sozialversicherungssysteme

Foto: Grüne Landtagsfraktion

Es gilt das gesprochene Wort!

TOP 19 – Keine zusätzliche finanzielle Belastung der Versicherten

Dazu sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jasper Balke:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleg*innen,

unsere Kranken- und Pflegeversicherungen sind finanziell nicht nachhaltig ausgestattet. Bereits in diesem Jahr drohte ein historisches Defizit von 17 Milliarden Euro, das nach langen Diskussionen, die wir teilweise auch hier im Landtag geführt haben, durch eine Vielzahl von Maßnahmen abgesichert werden konnte. Diese Maßnahmen führten aber nicht zu einer langfristigen Absicherung, denn schon für das nächste Jahr muss mit einem Defizit von vier bis sieben Milliarden Euro gerechnet werden.

Dabei werden in absehbarer Zeit und angesichts des demographischen Wandels und einer immer älter werdenden Gesellschaft die Ausgaben in der GKV immer weiter steigen. Je höher das Lebensalter, desto größer ist das Risiko für altersbezogene Erkrankungen und damit eine erforderlich werdende Inanspruchnahme des Gesundheitswesens. Neue Behandlungsmethoden kommen hinzu, moderne Medikamente und Arzneimittel. Also alles Dinge, auf die wir stolz sein können, sie führen aber eben auch zu steigenden Ausgaben.

Man muss also nicht pessimistisch sein, um zu sagen, dass, wenn wir nicht jedes Jahr aufs Neue weitere kleinteilige Steuerzuschüsse, Leistungsanpassungen und so weiter beschließen wollen, wir endlich auf eine langfristige und nachhaltige Ausfinanzierung unserer Sozialversicherungssysteme hinarbeiten müssen.

Dabei ist es immer sinnvoll, sich beide Seiten, also die Ausgaben und die Einnahmen anzuschauen. Für die Einnahmenseite hat Karl Lauterbach das ja zum Beispiel genauso gemacht und erst vorgestern für das kommende Jahr eine Erhöhung der Beiträge angekündigt. Dies kann man in Anbetracht der finanziellen Situation in den gesetzlichen Krankenversicherungen durchaus verstehen, jedoch treffen solche pauschalen Beitragserhöhungen geringe Einkommen natürlich immer besonders hart.

Deshalb finde ich es für die kommenden Debatten enorm wichtig, immer wieder klarzumachen, dass auch in unseren Sozialversicherungssystemen starke Schultern durchaus mehr Lasten tragen können. Ich hatte das an dieser Stelle schonmal gesagt, nämlich dass die Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und damit auch die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze eine Option sein kann, und dass beispielsweise wir als Abgeordnete auch stärker und zusätzlich belastet werden könnten. Hinzu kommt auch, dass viele von uns ja gar nicht in die solidarische GKV einzahlen. Auch dafür gibt es Lösungsvorschläge wie die Bürger*innenversicherung, die aus meiner Sicht endlich auf den Weg gebracht werden sollte.

Aber auch andere Möglichkeiten sollten dabei zum jetzigen Zeitpunkt auf keinen Fall ausgeschlossen, sondern im Sinne einer nachhaltigen Finanzierbarkeit ergebnisoffen diskutiert werden. 

Doch viel wichtiger finde ich es ehrlicherweise, sich nochmal ganz pragmatisch die Ausgabenseite anzuschauen. Denn es ist längst evident, dass wir in Deutschland zwar eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt haben, mit einer der höchsten Dichten an Ärzt*innen pro Einwohner*in, mit Spitzenmedizin und -forschung, die auf der Welt ihresgleichen sucht – aber eben dennoch im Vergleich zu anderen Staaten nur mittelmäßige Erfolge erzielen können. Und ja, da müssen wir uns als Politik und Gesundheitssystem auch ehrlich machen, wir geben einfach eine Menge Geld an den falschen Stellen im System aus.

So sind die Menschen bei uns mehr als doppelt so häufig beim Arzt wie in Schweden, Dänemark oder der Schweiz. In all diesen drei Ländern leben die Menschen nicht nur länger, sondern bleiben auch noch länger gesund. Darüber hinaus sind wir Weltmeister bei Kernspinuntersuchungen oder beim künstlichen Gelenkersatz, bei letzterem führt die teilweise mangelhafte prä- oder postoperative Therapie häufig zu Folgebeschwerden, die wiederum kostspielig behandelt werden müssen.

Ich könnte jetzt noch deutlich länger so weiter machen, aber im Wesentlichen lässt sich das Problem auf Folgendes herunterbrechen: Unser Deutsches Gesundheitssystem ist zwar besonders gut darin sind, Erkrankungen zu behandeln, zu therapieren oder Symptome zu lindern, aber leider eben wirklich schlecht darin, die Ursachen und Entstehung von Erkrankungen, die im volkswirtschaftlichen Sinne ja schlichtweg Ausgaben sind, von Krankheits- und Fehltagen mal ganz abgesehen, nachhaltig zu bekämpfen.

Und gerade bei Letzterem geht es dann um Bewegungs- und Sportförderung gerade für die Jüngeren, es geht um gesundheitliche Bildung, um Prävention von Alkohol- oder Tabakkonsum, um gesündere Ernährung in öffentlichen Einrichtungen, um im Sinne von intelligenter Patient*innensteuerung leichter verständliche Zugänge zum Gesundheitssystem, um eben zu verhindern, dass Menschen fälschlicherweise die Notaufnahme verstopfen oder zu vier unterschiedlichen Hausärzt*innenpraxen wegen ein und derselben Beschwerde laufen. Dazu gibt es viele gute Ansätze wie gemeinsame Anlauftresen von Notfallambulanz und Bereitschaftspraxis oder die weitere Sensibilisierung für die 116117.

Ich finde, dass wir uns deshalb genau über diese Punkte viel eher Gedanken machen sollten als über das ob und wie der zusätzlichen Belastung von Versicherten, denn es ist klar, dass gerade die mit geringeren Einkommen nicht das ausbaden dürfen, was politisch zu lange verschlafen wurde.

In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen im Sozialausschuss. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.